In vorliegendem Buch versucht sich der Autor Peter Plöger, deutscher Wissenschaftstheoretiker, an einer Kombination von Wissenschaftstheorie und Linguistik in einem von ihm so benannten Wechselwirkungsmodell. Die folgende Beschäftigung mit seinen Ausführung erfolgt aufgrund einiger – für unser Projekt – nicht-relevanter Fragestellungen nur auszugsweise und dementsprechend lückenhaft und fast schon stichwortartig. Auch die hier aufscheinenden Bereiche werden nicht immer dem zugrunde liegenden Werk entsprechend in die Betrachtung mit einbezogen. Je näher eine Konkretisierung unseres Forschungsvorhabens und unserer Herangehensweise heranrückt, desto selektiver werden wir bzgl. der Auswahl unserer Literatur vorgehen (müssen).
Um den anschließenden Zeilen dennoch einen Rhythmus zu geben, sie nicht allzu vereinsamt und zusammenhanglos dastehen zu lassen, sollen Kritik und Projektrelevanz nicht abschließend angehängt, sondern in den Text integriert werden; für den – hoffentlich nicht eintretenden Fall – dass diese Einwürfe nicht unmittelbar erkenntlich sind, werden sie leicht vom linken Rand abgesetzt. Somit kommt es zu einem Gegenüber von Plöger’s Buch entnommenen Aussagen und Argumenten auf der einen, und Einschätzungen der unmittelbaren Relevanz eben dieser für unser Forschungsvorhaben auf der anderen Seite.
Die diskursive Dimension der Wissenschaft
Das zentrale Argument, das an dieser Stelle dem Leser dargelegt wird, formuliert die Annahme, dass Wissenschaft durch ihre diskursive Dimension konstituiert wird. Weil Diskurs als verbindendes Element zwischen dem Wissen Einzelner und dem Wissen einer wissenschaftlichen Disziplin – unter einer Vorrausetzung: Konsens – dient. Wissen präsentiert sich hier als Ansammlung von Annahmen, die man über ihre Anwendbarkeit in der alltagsweltlichen Realität als bestätigt glaubt, und Annahmen über die Annahmen anderer; dies alles in einem Konsens vereint. Die Konsensannahme beruht auf vorangegangenen Diskursen.
Diskurs erfüllt in Plöger’s Ausführungen die Funktionen Resultat, Produkt und Instrument wissenschaftlicher Argumentation, auf dem Weg zu einem „rational“ – entlang von einem Kanon an Prozeduren, Regeln und Techniken – erzielten Konsens.
Diskurs wird zumindest an dieser Stelle zu einem Gutteil als Zusammenspiel und Beziehungsgeflecht rhetorischer, argumentativer Mittel betrachtet, und erinnert unweigerlich an Habermas; dementsprechend vorsichtig muss mit den hier angeführten Überlegungen umgegangen werden.
In Bezug auf den konkreten Diskurs Europäischer Raum stellen wir uns dennoch daran anschließend folgende Frage: Wer hat sich im wissenschaftlichen Diskurs wie und warum durchgesetzt? Erst nach Beantwortung dieser Frage kann man gezielt auf die Bedingungen der vorgefundenen Akteure eingehen. Dementsprechend besitzen Plöger’s Ausführungen sehr wohl eine gewisse Relevanz für das unser Projekt anleitende Forschungsinteresse.
Um zu Aussagen über einen Gegenstandsbereich zu kommen, führt ein Wissenschaftler Operationen aus, deren Resultate ihm einen Korpus von Daten zur Verfügung stellen[1]. Das Selektionsresultat wird anschließend einer Interpretation zugeführt. Selektion und Interpretation sind nicht vollständig determiniert durch einen Methodenkanon; sie sind jedoch abhängig von Vorwissen und Zielen des Forschenden (sowohl Vorannahmen über den betroffenen Gegenstandsbereich, als auch Theorien und methodologische Prinzipien, etc.). Diese „argumentativen Vorgänge“ sind also laut Plöger als Wissen-konstituierende Prozesse oft zentral am Diskurs beteiligt.[2]
In seinen weiteren Ausführungen zum Diskursgegenstand Wissenschaft verweist Plöger auf Walter B. Weimer[3], wenn er ausführt: „Eine weitere, ausschließlich wissenschaftsinterne Funktion des Diskurses macht Weimer in der Art und Weise aus, wie Handlungsanweisungen zwischen Wissenschaftlern weitergegeben werden, etwa im Zusammenhang mit der Beschreibung eines Experimentes.“[4]
Besondere Ausprägungen haben hierarchische Kommunikationsbeziehungen (Lehrer/Schüler, Professor/Student, Forschungsgruppenleiter/Nachwuchswissenschaftler, etc.).
Campbell fügt dem auch noch die Dimension „soziale[r] Kontrolle über erwünschtes oder unerwünschtes Verhalten innerhalb der Wissenschaften durch Belohnung beziehungsweise Strafe“[5] hinzu. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Veröffentlichungen, Reviews, Förderungen, Stipendien vs. Kritik, negative Reviews, Ignorieren, Vorwürfe, etc..
Dann stellt Plöger folgende – für die Beschäftigung mit einem Gegenstand, der sich rund um die Produktion und Konstitution gemeinsamer Annahmen dreht, relevante – Frage: „Können mehrere Individuen ein geteiltes Wissen haben und wenn ja: Wie teilen sie es mit anderen?“[6]
Wir hingegen fragen: Wer wirkt auf dieses geteilte Wissen ein? Warum kann er das und warum tut er das? Was bezweckt er damit?
Dementsprechend wichtig wird es für uns, den Diskurs überhaupt festmachen zu können. Welche Disziplinen, welche „Denkschulen“, welche „Strömungen“ wirken auf ihn ein?
Kommunikation ist unserer Annahme nach nicht zielgerichtet einsetzbares Instrument eines Sprechers um sich durchzusetzen, um den Diskurs zu beeinflussen. Vielmehr ist er aufgrund seiner ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen, etc. Vorraussetzungen in seiner spezifischen Position.
Neuere Diskurstheorien[7] „betonen die individuelle Eigenleistung des Rezipienten bei der Konstitution von Bedeutungen, […] durch den Rekurs auf die Wichtigkeit des Vorwissens und sprachlichen Vermögens des Rezipienten, [… oder] durch die Entkopplung der in traditionellen Zeichenmodellen noch fixierten Relation zwischen Zeilen und einer spezifischen Bedeutung“[8].
Wie es auf dieser kommunikativen, linguistischen Ebene dazu gekommen ist, trägt nicht zur Beantwortung der von uns gestellten Fragen bei; uns interessiert die Determiniertheit der Akteure – dass sie sich im Diskurs durchgesetzt haben, erkennt man an der tatsächlichen „Vorherrschaft“ des von ihnen dominierten Begriffs. Wie sie das geschafft haben, überlassen wir Sprachwissenschaftlern, u.a..
Komponenten wie Kognition, (De)kodierung, Inferenz, Rezipient, Sprechakt, o.ä. sind dementsprechend nicht von Interesse.
Wie kommt es innerhalb eines Diskurses überhaupt zu einer Annahme? Geht man nach Davidson[9], so sind Sachverhalte die kausalen Ursachen für Annahmen.
Würde das bedeuten, dass es in unserem Fall Sachverhalte – wie geographische Grenzen, o.ä. – geben müsste, die für Annahmen über Europäischen Raum verantwortlich zeichnen? Was bedeutet das – im Umkehrschluss – für die Sachverhalte, wenn die Annahmen so unterschiedlich, so unklar definiert und vielfach eingesetzt, so schwer festzumachen sind?
Vielleicht könnte man Davidson’s Argument dementsprechend umdeuten, dass Sachverhalte die Akteure dazu bringen, den Begriff so zu dominieren, wie sie es im Diskurs tun?
Plöger von der Annahme aus, dass Begriffe, dass Annahmen, dass gemeinsames Wissen im Diskurs oft nicht mehr hinterfragt wird. „Alles Wissen hat den Charakter von Annahmen. Annahmen sind Gedanken, die vom Individuum so behandelt werden, als seien sie Repräsentationen der realen Welt.“[10] Wenn Diskursteilnehmer an Annahmen eines Sprechers anschließen, bestätigen diese Anschlusshandlungen die Annahme gemeinsamer Bedeutung eben dieses Sprechers. Auf diesen Bedeutungen baut der weitere Diskurs auf.[11]
In Bezug auf das Wechselwirkungsmodell argumentiert Plöger wie folgt: Diskursteilnehmer ko-konstruieren Bedeutungen verwendeter Äußerungen; im Idealfall laufen diese Rückkoppelungen „solange weiter, bis alle Teilnehmer die Meta-Annahme gemeinsamer Bedeutungen machen“[12]. Ein Teilnehmer konstituiert seine eigene Bedeutung mithilfe derartiger Rückkoppelungssequenzen dann, wenn er die vorliegende Bedeutung „nicht kohärent in sein inferenzielles Netz integrieren kann“[13]. Für den Fall, dass das aber doch funktioniert, gehen alle Teilnehmer davon aus, dass die von ihnen konstruierte Bedeutung identisch ist mit jener anderer Teilnehmer.
Unter Wechselwirkungsmodell versteht Plöger folgende Sequenz:
- Versprachlichung einer Annahme durch S1
- Verstehen der entsprechenden Äußerung durch S2
- S2 versprachlicht eine Annahme als Reaktion auf Punkt 2
- S1 versteht die Versprachlichung in Punkt 3
Und an dieser Stelle kann/muss die Beschäftigung mit Plöger endgültig einem Ende zugehen. Er verläuft sich zusehends in sich dem Habermas’schen Diskurs-Begriff nähernden Begrifflichkeiten, setzt Diskurs mit Debatte/Diskussion gleich.[14] Hinzu kommt die für Plöger (mit)ausschlaggebende Komponente Intentionalität und die mit unserer Herangehensweise nicht übereinstimmende Annahme der Abgeschlossenheit eines Diskurses. Dementsprechend kann uns Plöger nur im Maße der oben punktuell attestierten Relevanzen weiterhelfen.
[1] Unwesentlich ist an dieser Stelle Vollständigkeit/Selektivität dieses Korpus.
[2] vgl.: Plöger, Peter; S. 45 f.
[3] z.B. Weimer, Walter B.; Science as a rhetorical transaction: Toward a non-justificational conception of rhetoric“; in: Philosophy and Rhetoric 10: S. 1 – 29; 1977
[4] Plöger, Peter; S. 47
[5] Plöger, Peter; S. 47
[6] Plöger, Peter; S. 53
[7] z.B. Edwards, Derek; Discourse and Cognition; Sage; London u.a.; 1997 oder Schmidt, Siegfried J.; Kognitive Autonomie und soziale Orientierung – Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur; Suhrkamp Verlag; Frankfurt, 1994
[8] Plöger, Peter; S. 55
[9] vgl.: Davidson, Donald; A Coherence Theory of Truth; 1986; in: LePore, Ernest (Hrsg.); Truth and Interpretation – Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson; Blackwell; Oxford, 1986
[10] Plöger, Peter; S. 84
[11] Nicht ausnahmslos, aber dennoch je nach Qualität und Quantität der Bestätigungen immer unhinterfragter.
[12] Plöger, Peter; S. 85
[13] Plöger, Peter; S. 85
[14] vgl.: Plöger, Peter; S. 135 ff.
Plöger, Peter; Wissenschaft durch Wechselwirkung. Bausteine zu einem diskursiven Modell der Wissenschaften; Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften; Frankfurt am Main, 2002