Der Autor des vorliegenden Textes versucht sich an einer überblicksähnlichen Darstellung verschiedener sozialwissenschaftlicher Herangehensweisen an Territorium. Sein Ausgangspunkt ist das – seiner Meinung nach – alltäglicheVerständnis des im Zentrum stehenden Begriffs: „Territory, according to common understandings, promotes peace through certainty by clearly defining and delineating the workings of power.“[1] Diese stabilisierende Funktion wird Territorium durch dessen Abgrenzung und Definition von Souveränität gegenüber anderen verliehen. Frei nach dem Motto: „Good fences make good neighbors.“[2] Dementsprechend ist diese Komponente natürlich auch zentrales Charakteristikum, und nach wie vor fundamentales Prinzip internationalen Rechts.
Delaney listet die sehr offensichtlichen Funktionen von und Zuschreibungen zu eingegrenzten Territorien auf; so zum Beispiel Territorium als Ausschlussprinzip, die Legitimierung kriegerischer Auseinandersetzungen, die Organisation sozialer Verhältnisse, die gesellschaftliche Zusammenfassung menschlicher Individuen, etc..
Die Monopolstellung im Kontext der – mehr oder weniger wissenschaftlichen – Debatten rund um Territorium nimmt nach wie vor der moderne Nationalstaat ein; egal ob in den Internationalen Beziehungen, dem Internationalen Recht oder der Geopolitik.
Territorium nimmt ganz grundlegend – um an dieser Stelle von der Abgrenzung einer „geschlossenen“ Gesellschaft gegenüber anderen wegzukommen – eine ordnende Funktion natürlich auch nach innen ein. Ohne das Festlegen auf eine die Souveränität und Gewalt repräsentierende und monopolistisch einnehmende Institution, die – in Form des Nationalstaates – die Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem überhaupt ermöglicht, gebe es die gegenwärtige globale kapitalistische Gesellschaft in dieser Form nicht. „In a social order in which private property is a fundamental feature, most of the world of daily experience is closed off to you. This world is also territorialized with reference to public and private spaces.”[1]
Bzgl. der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Territorium kritisiert Delaney vor allem die disziplinäre Beschränktheit und Blindheit betreffend vielseitiger Funktionen und Charakteristika dieses Konzepts. Er verurteilt, dass Territorium in seiner wissenschaftlichen Verwendung jeweils ausschließlich als eine Komponente jener der jeweiligen Disziplin immanenten Forschungsschwerpunkte angenommen wird (in den Internationalen Beziehungen als Aspekt der Souveränität, in der Anthropologie als Ausdruck kollektiver Identität, in der Umweltpsychologie als Aspekt emotionaler Sicherheit und des individuellen Festmachens eines privaten Bereichs, etc.). Sogar in der Humangeographie werde Territorium nur im Kontext seiner Sub-Disziplin Politische Geographie, und dementsprechend untrennbar verbunden mit der Funktionsweise von Nationalstaaten.
Hinzu zu den disziplinären Scheuklappen und dem Verbleiben in einem methodologischen Nationalismus kommt die – doch eher als Folge der beiden Beschränkungen zu verstehende – fehlende Offenheit bzgl. der möglichen alternativen Ansätze, Territorium zu begreifen. „The disciplinary territorialization (and marginalization) of territory is quite understandable. However, it has had the effect of closing off a number of questions before they have been raised. [… T]erritory is commonly understood as device for simplifying and clarifying something else, such as political authority, cultural identity, individual autonomy, or rights.”[2]
Es kommt also aufgrund unzureichender Beschäftigung mit den multiplen Funktionen und Charakteristika von Territorium relativ schnell und einfach zu einer ständigen Verwendung zum Zwecke der Vereinfachung und Hypostasierung.
Delaney meint diesbezüglich individuelle Handlungen als relevante Komponente der menschlichen Produktion von Territorien ausgemacht zu haben: „It is an aspect of how individual humans as embodied beings organize themselves with respect to the social and material world.“[3] Sie produzieren und reproduzieren Territorien also zum Zwecke der Ordnung innerhalb der gesellschaftlichen und materiellen Realitäten. Und somit sind sie auf folgende kleine Formel zusammen zu fassen: „[T]hey are what they are in relation to others“[4].
Doch das fehlende Hinterfragen territorialer Gegebenheiten ist integraler Bestandteil derer Funktionsweise; dass es als selbstverständliches und dementsprechend natürliches Phänomen angenommen wird, trägt ganz fundamental dazu bei, dass Territorium das ist, was es ist. (Auch) dadurch kann es zu einem Bestandteil verschiedenster sozialer Systeme werden, auch oder gerade weil die jeweilige territoriale Einteilung nur für jene relevant ist, die Teil des dadurch fragmentierten, aber geordneten Systems sind (eine Einteilung der Welt in Diözesen ist beispielsweise nur für Katholiken von [gesteigerter] Relevanz).
Und von diesen Grundüberlegungen ausgehend, kommt der Autor zu folgendem vorübergehenden Fazit bzgl. der Frage What is territory for?
– Kontrolle über Ressourcen.
– Eventuell Lösung für bestimmte Probleme.
– Eventuell eine mögliche Strategie.
– Möglichkeit der Reifizierung verschiedener Formen von Identität und Differenz.
– Beschränkung des Zugangs, bzw. Exklusion von anderen.
– „May promote clarity and simplicity, and therefore certainty and productability, and therefore peace, security and order, and therefore efficiency and progress.”[5]
– “To divide and conquer, to confine or immobilize, to exclude, to create dependencies, to dilute power, to fragment and isolate.”[6]
– Zum Erzeugen von Konflikten, zum Verstärken von Machtasymmetrien, etc.
… und diese sehr allgemeine Zusammenfassung und Auflistung der Funktionen von Territorium bringt mich schon sehr früh zu einem „persönlichen“ Fazit bzgl. Relevanz und Erkenntnisgewinn des vorliegenden Werkes für das hier zur Diskussion stehende Projekt.
[1] Delaney, David; S. 5
[2] Delaney, David; S. 9
[3] Delaney, David; S. 10
[4] Delaney, David; S. 11
[5] Delaney, David; S. 19
[6] Delaney, David; S. 19
Delaney, David (2005); Territory. A Short Introduction; Blackwell Publishing