Der Anfang des vorliegenden Briefwechsels zwischen Gottfried Wilhelm Leibniz und Samuel Clarke – über Raum und verschiedene dazugehörende philosophische Komponenten – datiert vom November des Jahres 1715 und fand sein Ende durch Leibniz’ Tod am 14. November 1716 in Hannover.
Im Folgenden sollen die wichtigsten inhaltlichen Eckpfeiler der vorliegenden Debatte der Beiden nachgezeichnet werden; die Schwierigkeit besteht ganz sicher darin, dass Leibniz und Clarke aus ihren wissenschaftlichen und philosophischen Überlegungen heraus argumentieren, ohne – aufgrund der privaten Natur eines persönlichen Briefwechsels – auf außenstehende, geschweige denn eine gewisse Vorbildung vermissende Leser einzugehen. Dementsprechend abrupt und unvermittelt der Einstieg in die inhaltliche Debatte …
Leibniz argumentiert gegen die Vorstellung, dass der Raum absolut, ewig, unermesslich und unendlich sei; u.a. ganz einfach deswegen, weil er aus Teilen besteht.
Clarke bestätigt Leibniz’ Überzeugung, dass Raum „kein ewiges und unendliches Seiendes [… ist, und beschreibt ihn als] eine Eigenschaft bzw. eine Folge aus der Existenz eines unendlichen und ewigen Wesens“[1]. Somit ist Raum nicht gleich Gott, aber immerhin eine Folge seiner Existenz. Clarke widerspricht hingegen einer Teilbarkeit des Raumes.
Leibniz definiert Raum als Ordnung des Nebeneinanderbestehens, während Zeit die Ordnung der Aufeinanderfolge darstellt. Somit ist beides relativ. Erneut widerspricht Clarke Leibniz; Letzterer besteht jedoch darauf, dass Raum eben nicht Substanz, eben nicht irgendein absolut Seiendes ist. Raum ist vollkommen homogen. Wenn sich nichts in dem Raum befindet, unterscheidet sich ein Punkt in eben diesem Raum keineswegs von einem anderen. Der logische Schluss daraus ist, dass jeder leere Raum, und jeder Raum außerhalb der Welt nur eine Vorstellung sein kann.
Clarke hingegen meint, dass auch leere Räume nicht nur Vorstellungen sind.
Bei Leibniz ist Raum sozusagen eine Eigenschaft, ein Attribut; ein Attribut kann nicht ohne Subjekt sein. Die begrenzte Ausdehnung, der endliche Raum bedeutet Messbarkeit, … Messbarkeit von und somit Ordnung für Dinge.
Für Clarke hingegen ist Raum unermesslich, unveränderlich und ewig. Raum (genauso wie Dauer) ist eine unmittelbare und notwendige Folge aus der Existenz Gottes. Durch beide ist Gott ewig, allgegenwärtig und omnipräsent; und somit sind auch sie selbst etwas absolutes und unveränderliches. Raum kann zwar sehr wohl von Individuen partiell erfasst werden. Da diese Teile jedoch nicht real voneinander trennbar sind, ergeben sie ihrem Wesen nach ein Einziges; der Raums ist also unteilbar.
Leibniz argumentiert für einen Raumbegriff auf der Grundlage relationaler Bestimmungen. Wie bilden Menschen den Raumbegriff? Sie stellen fest, dass mehrere Dinge auf einmal existieren, und zwar in einer gewissen Ordnung des Nebeneinanderbestehens. Die gegenseitige Beziehung zwischen Dingen macht die Lage bzw. den Abstand voneinander aus. Die Regeln bzgl. der Veränderung von Beziehungen, sowie die Lage (Orte) und Konstellationen von und zwischen Dingen werden allesamt von Raum umfasst.
„Ort ist das, von dem man sagt, es sei für A und B dann dasselbe, wenn die Beziehung des Nebeneinanderbestehens von B mit C, E, F, G etc. vollständig mit der Beziehung des Nebeneinanderbestehens übereinstimmt, die A mit denselben [C, E, F, G etc.] gehabt hat, vorausgesetzt, es hat keine Ursache für eine Veränderung bei den C, E, F, G etc. gegeben. […] Ort ist das, was zu den verschiedenen Zeitpunkten für verschiedene existierende Dinge dann dasselbe ist, wenn deren Beziehungen des Nebeneinanderbestehens mit gewissen existierenden Dingen, die von dem einen dieser Zeitpunkte bis zu dem anderen Zeitpunkt als fest vorausgesetzt werden, miteinander völlig übereinstimmen.“[2]
à Ort ist nicht einfach nur die Lage eines Dinges.
à Raum ist die Summe aller Orte.
à Orte, Bahnen (Spuren, die sich bewegende Körper auf unbewegten Körpern hinterlassen) und Räume bestehen ausschließlich aus Beziehungen, „keineswegs aus irgendeiner absoluten Realität“[3]
[1] Clarke, Samuel; zitiert in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan; S. 60
[2] Leibniz, Gottfried Wilhelm; zitiert in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan; S. 69
[3] Leibniz, Gottfried Wilhelm; zitiert in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan; S. 71
Leibniz, Gottfried Wilhelm; Briefwechsel mit Samuel Clarke; 1715/1716; in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan (Hrsg.); Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main, 2006; S. 58 – 73