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Arendt, Hannah (1960); „Der Raum des Öffentlichen und der Bereich des Privaten“

Die Schwierigkeit des Erfassens der Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Sozialen fällt – so argumentiert Arendt zu Beginn des vorliegenden Textes – mit dem Beginn der Neuzeit zusammen. Wurde ursprünglich relativ einfach der Bereich des Haushalts dem Privaten, und demgegenüber der Raum des Politischen dem Öffentlichen zugeordnet, so kam „das Aufkommen eines im eigentlichen Sinne gesellschaftlichen Raumes, […] der seine politische Form im Nationalstaat gefunden hat“[1] neu hinzu.

Bei Arendt ist Gesellschaft ein Familienkollektiv, in seiner ökonomischen Form eine Art Über-Familie, politische organisiert in Form der Nation.

Die Schaffung des Stadt-Staates ging ganz klar zu Lasten der Bedeutung des Privaten; dennoch blieb diesem die zentrale Position der grundsätzlichen Lokalisierung in der gemeinsamen Welt erhalten. Grundsätzliche Motivation des Privaten war das Leben selbst; Arbeiten und Gebären waren Antrieb, aber nur aus menschlichen Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten heraus.

„Im Gegensatz hierzu war der Raum der Polis das Reich der Freiheit“[2]. Politik war in keinem Fall notwendig für die Gesellschaft oder gar das Leben. Es ist die Freiheit der Gesellschaft, die für eine Beschränkung der politischen Machtvollkommenheit verantwortlich zeichnet. „Freiheit hat ihren Sitz im Gesellschaftlichen, während Zwang und Gewalt im Politischen lokalisiert sind und so das Monopol des Staates werden“[3].

Der private Bereich zeichnet sich bei Arendt durch die Abwesenheit von anderen aus. Sie attestiert der modernen Welt jedoch, dass die Massengesellschaft den privaten Bereich (genauso wie den öffentlichen Raum) zerstört; damit geht den Menschen einerseits ihr Platz in der Welt verloren, andererseits kommt ihnen die Sicherheit der eigenen vier Wände abhanden. Eine radikale Bedrohung des Privaten war oft Begleiterscheinung des Absterbens des Öffentlichen. Und das obwohl der einzig positive Bezug des Öffentlichen zum Privaten der Schutz des Eigentums ist. Der Konnex zum Politischen besteht in der modernen gedanklichen Besetzung von Eigentum mit Besitz und Reichtum, die „geschichtlich immer eine größere Rolle im Politischen gespielt haben als irgendein anderes nur privates Anliegen oder Interesse“[4].

Das Übersehen des Unterschieds zwischen Eigentum und Besitz hat seinen Ursprung – leicht nachvollziehbar – in der Voraussetzung von Besitz für den Eintritt in den politischen Raum der Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Doch beweist heute die Tatsache, dass eine Steigerung des Reichtums der Gesellschaft in keinem Fall mit einer Steigerung des Privateigentums zusammenfallen muss (oder sogar ein Schwinden von selbigem bedeuten kann), dass Eigentum und Besitz ganz verschiedener Natur sind.

Kein Eigentum zu haben, bedeutete ursprünglich keinen Platz in der Gesellschaft zu haben. Besitz (zum Beispiel von ansässigen Fremden) konnte diese Lücke nicht füllen. „Das Eigentum selbst wiederum war mehr als eine Wohnstätte; es bot als Privates den Ort, an dem sich vollziehen konnte, was seinem Wesen nach verborgen war“[5]. An diesem Ort der Verborgenheit wurden Menschen geboren und sterben dort ebenso geschützt wieder; ihr Leben aber verbringen sie nicht dort. Das Geheimnis des Anfangs und des Endes (der Mensch weiß ja nicht woher er kommt und wohin er geht) „kann nur da gewahrt werden, wo die Helle der Öffentlichkeit nicht hindringt“[6].

Es ist also die äußere Gestalt dieses Bereichs, die die Öffentlichkeit nichts angeht. Erst inmitten des Öffentlichen erscheint das Private als eingegrenzt. Das öffentliche Gemeinwesen ist dementsprechend verpflichtet, diese Grenzen zu wahren und gewährleisten. Und daher rührt – so der Schluss Arendt’s – die Räumlichkeit von Gesetz überhaupt. „Das griechische Gesetz war wirklich eine ‚Gesetzesmauer’ und schuf als solche den Raum der Polis“[7]. Es war weder der Gehalt und das Resultat politischen Handelns (wie später bei den Römern oder Kant), noch eine Aufzählung von Verboten. Vielmehr schuf das griechische Gesetz einen privaten Bereich für die Mitglieder seiner Gesellschaft und damit gleichzeitig einen öffentlichen Raum, und dieser – dieses Eingehegte – war das eigentlich Politische. „Ohne die Mauer des Gesetzes konnte ein öffentlicher Raum so wenig existieren wie ein Stück Grundeigentum ohne den es einhegenden Zaun“[8].

Dementsprechend war Besitz als solcher zu wenig um Bürgerrechte ausüben zu dürfen/können; der Raum des Privaten bildete einen immanenten Teil, gleichsam die andere Seite des Öffentlichen.



[1] Arendt, Hannah (1960); Der Raum des Öffentlichen und der Bereich des Privaten, in: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan (Hrsg.); Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main, 2006; S. 420.

[2] Ebenda, S. 423

[3] Ebenda, S. 424

[4] Ebenda, S. 427

[5] Ebenda, S. 429

[6] Ebenda, S. 430

[7] Ebenda, S. 430 f.

[8] Ebenda, S. 431

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