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Keller, Reiner (2004); „Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen“

Der Diskurs-Begriff droht vor allem in den Sozialwissenschaften insofern einer inflationären Verwendung zu unterliegen, als dass er in verschiedensten Bedeutungszusammenhängen und theoretischen Auffassungen – oft unkommentiert – verwendet wird. Glauben – wie in unserem Fall – Wissenschaftler, den Diskurs rund um einen Begriff, rund um einen Wissensbestand als zentral oder zumindest relevant für ihr Forschungsvorhaben ausgemacht zu haben, gilt es in erster Linie, sich darüber klar zu werden, was Diskurs ist, was Diskurs bewirkt, was wie auf Diskurs einwirkt, und wie dieser (wenn überhaupt) zurückwirkt. Hinzu kommt die Frage nach der Herangehensweise an den Forschungsgegenstand, nach der Perspektive, aus der der Forscher ihn betrachtet. Es scheint vor allem jene, die sich noch nicht eingehender mit dem Diskurs als solches auseinandergesetzt haben, eine unübersichtliche Fülle an Diskurstheorien, Möglichkeiten der Diskursanalyse und Begriffsvariationen von Diskurs vor ein nicht zu unterschätzendes Problem zu stellen. Es bietet sich zwar scheinbar ein breites Spektrum an Instrumentarien an, die Selektion dieser, die zur Erreichung des angepeilten Forschungsziels verhelfen sollen, gestaltet sich aber insofern als schwierig, als 1. der Anschluss an die empirische Anwendung ein Stiefkind der theoretischen Beschäftigung mit Diskurs zu sein scheint, und 2. die unglaublich verzweigten und ineinander verwobenen Ansätze ein schwer aus zu differenzierendes Spektrum an wissenschaftlichem Handwerkszeug darstellt.

Reiner Keller bietet – in einer sehr kompakten und hervorragend übersichtlichen Form – einen Leitfaden an, versucht dem Sozialwissenschaftler/der Sozialwissenschaftlerin einen „Ausweg“ zu zeigen aus dem Diskurslabyrinth. Seine gut strukturierte Herangehensweise beginnt bei einer kurzen Einführung zu Relevanz und Aktualität des Themas, geht nahtlos in eine (historische) Erläuterung der zentralsten Überlegungen zu Diskurs über, und bereitet anschließend verschiedene Perspektiven ein wenig ausführlicher auf. Die Vorstellung der empirischen Instrumentarien, des Forschungsprozesses ist insofern erwähnenswert, als dass Keller seinen Lesern eine Brücke zwischen diesen/m und den zuvor erläuterten theoretischen Ansätzen baut.[1]


[1] Keller, Reiner (2004): „Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen“, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Einen kleinen gemeinsamen Nenner in der wissenschaftlichen Debatte rund um Diskurs findet Keller zu Beginn seiner Überlegungen doch noch: Zumindest besteht „Grundkonsens darüber, dass die Beziehung der Menschen zur Welt durch kollektiv erzeugte symbolische Sinnsysteme oder Wissensordnungen vermittelt werden“[1].

Diskurs ist also Konstitution und Konstruktion von Welt im konkreten Zeichengebrauch, auf zugrunde liegenden Strukturmustern oder Regeln der Bedeutungs(re-)produktion. Es kommt zum Versuch, Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen (temporär) zu stabilisieren und so eine kollektiv verbindliche Wissensordnung innerhalb einer sozialen Konstellation zu institutionalisieren.

Im Zentrum stehen vorderhand noch das Sprechen oder Schreiben, bzw. soziale Praktiken und (Re-)produktion von Sinnsystemen und Wissensordnungen. Rund um diesen Kern befinden sich die darauf Einfluss nehmenden Komponenten: soziale Akteure, Ressourcen und Regeln. Richtung und Wirkkraft der Kausalität hier noch nicht berücksichtigend, stehen in direktem Anschluss daran die Folgen in bzw. für soziale/n Kollektiven im Fokus des Forschungsinteresses. So weit zu Beginn ein Umriss des Forschungsgegenstandes.

Im Gegensatz zu anderen sozialwissenschaftlichen Beschäftigungen mit Sprache, soll hier jedoch keine Analyse von sozialstruktureller Formung von Sprachgebrauch und keine Analyse des Sprachgebrauchs als Handlungsform oder –vollzug erfolgen. Eine weitere im Vorhinein auszuschließende Auffassung von Diskurs ist jene viel zitierte von Habermas: ihm geht es um die Formulierung von Idealbedingungen für Argumentationsprozesse.

Daraus vorläufig schlussfolgernd, schränkt Keller den Diskursgegenstand und die sozialwissenschaftliche Beschäftigung damit ein auf eine „Analyse institutioneller Regulierungen von Aussagepraktiken und deren performative, wirklichkeitskonstituierende Macht“[2]. Zu welchem Maß Diskurs Wirklichkeit auch tatsächlich konstituiert, konstituieren kann, lässt Keller an dieser Stelle leider unbeantwortet.

Diskursanalyse ist bei Keller keine Methode, sondern eine Forschungsperspektive; eine Perspektive auf den Gegenstand Diskurs. Ob ein Wissenschaftler das ebenso sieht oder nicht, ob Diskurstheorie oder Diskursanalyse, in jedem Fall zielt eine Beschäftigung mit Diskurs auf folgende Punkte ab:

         Gebrauch von Sprache und anderen Symbolformen in gesellschaftlichen Praktiken

         Soziale Konstruktion des Bedeutungsgehalts von Phänomenen, und deren Konstitution in ihrer jeweiligen sozialen Realität im praktischen Zeichengebrauch

(Vorübergehende) Erzeugung einer umfassenden Diskursstruktur durch institutionell-organisatorische Kontexte. Einzelne Interpretationsangebote sind Teile dieser Struktur.

  Rekonstruierbare Deutungs- und Handlungsregeln, auf denen der Gebrauch symbolischer Ordnungen basiert

     Struktur- und praxistheoretische Überlegungen von Bourdieu und Giddens helfen bezüglich der institutionellen Regulierung kollektiver Wissensordnungen

Das zunehmende Interesse an diskursanalytischen Perspektiven interpretiert Keller als Ausdruck wissenschaftlicher Reflexion heterogener gesellschaftlicher Veränderungen (Stichwort Wissensgesellschaft). Er attestiert ein Ansteigen systematischer Wissensproduktion. Diskursen, als Prozesse und Versuche der Sinnzuschreibung und –Stabilisierung, wird deswegen eine so hohe Bedeutung zugeschrieben, weil:

  1. Tatsachen zunehmend ihre eindeutige Klassifizierbarkeit verlieren,
  2. relevante Phänomene von verschiedenen Seiten der Wissenschaft immer öfter als hybriden Charakters beschrieben werden (gestiegene Schwierigkeit einer eindeutigen Zuschreibung zu Natur, Gesellschaft oder Technik),
  3. eine exponentielle Zunahme systematischer Wissensproduktion zu beobachten ist und
  4. professionalisierte Kommunikationsprozesse und –technologien gegenwärtig eine enorme Verbreitung erfahren.

 

Historische Grundlage

Die historische Betrachtung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Diskurs beginnt Keller bei Michel Foucault[3]. Foucault unterscheidet je spezifische, sich gegenseitig ablösende Wissensordnungen bzw. allgemeine Erkenntnisstrukturen und widerspricht in logischer Denkfolge der Annahme einer kontinuierlichen historischen Wissenschaftsentwicklung im Sinne ständig fortschreitender Wahrheitsfindung.

Die Kritik am Foucault’schen Ansatz konzentriert sich auf dessen stark strukturalistische Annahmen; neo- oder poststrukturalistische Ansätze versuchten demzufolge, Strukturalismuskritik in ihre Herangehensweise zu inkludieren, um tatsächliche praktische Gebrauchsweisen der Symbolsysteme zu berücksichtigen.

Von diesem theoretischen Fundament ausgehend, stellt Keller als erste „praktische Anwendung“ das Projekt der discourse analysis vor. Dieses dreht sich um eine Analyse von Sprachgebrauch; Forschungsgegenstand sind also Reden und Schreiben als realer Prozess in einem gesellschaftlichen Kontext (von lokal-situativen bis gesamtgesellschaftlichen, historisch dia- wie synchron ausgreifenden Dimensionen). Die Schwierigkeit und somit unbedingt möglichst eindeutig zu klärende Frage der empirischen Herangehensweise, so betont Keller, ist die Bestimmung von Anfang und Ende eines Diskurses, hängt aber fallspezifisch von der Forschungsfrage ab. Es stellen sich die Fragen, wer Sprache in einem kommunikativen Ereignis wie, warum und wann gebraucht. Es gilt, diese Fragen zu klären in Bezug auf Verwendung, Rezeption und Interaktion von Sprache in einem soziokulturellen Kontext. Welche verschiedenen Level, Einheiten, Strukturen und Konstruktionen dominieren und gestalten diese Ebenen? Und welche Beziehungen und Verbindungen bestehen zwischen diesen und vernetzen diese untereinander? Der Betrachter konzentriert sich also auf eine Verbindung von Diskurs-Strukturen mit deren sozialen und kulturellen Kontexten.

Der Schwerpunkt dieser Querschnittsdisziplin der discourse studies – und das gilt es zu bedenken – liegt hier aber nach wie vor bei den „linguistischen, konversations- sowie gattungsanalytischen Traditionen der Analyse konkreten Sprachgebrauchs“[4], der Fokus ist also gerichtet auf formale Produktionsregeln, Gattungsstrukturen von Texten, u.ä..

Ein weiteres – zweites – diskursives Anwendungsprojekt entstand durch die Verbindung zwischen Geschichtswissenschaften und linguistischen Sprachforschungsansätzen: (Korpus-) Linguistisch-historische Diskursanalyse. Dadurch wurde ein Konzept der Begriffsgeschichte entwickelt, dass – eng verknüpft mit dem Ansatz der discourse analysis – historische Semantik und Diskursgeschichte zu zentralen Analyseelementen dieser Diskurstheorie machten. Die Anfänge dieses Diskursansatzes lassen sich in der französischen Mentalitätsgeschichte der Annales-Schule und verschiedenen Aspekten der Linguistik verorten. Zentrale Einsatzgebiete dieser Korpuslinguistik sind sprachwissenschaftliche Forschungsansätze mit umfangreichen Datenkorpora und einer Vielzahl an Einzeltexten, die nach lexikalischen und/oder thematischen Kriterien geordnet sind. Insofern eröffnet sich durch diesen Diskursbegriff dort eine Perspektive, wo es darum geht große Textmengen einer qualifizierenden Analyse zu unterziehen. Das primäre Ziel der Korpuslinguistik ist es nun durch eine repräsentative Auswahl an Texten – die symptomatisch für den virtuellen Gesamtkorpus stehen –, mit dem Einsatz von statistisch-quantifizierenden Methoden, nach Verbindungen und Streuungen von Wort- und Aussageformen und darüber hinaus deren Wandel im Zeitquerschnitt und –verlauf zu forschen.

Interessant ist dabei die stark frankophone Ausrichtung der Entwicklungsgeschichte dieses Ansatzes. Insofern knüpft diese marxistisch-ideologiekritisch orientierte „französische Schule“ der Diskurstheorie an dem ideologietheoretischen Konzeptionen von Althusser und einigen Begrifflichkeiten von Foucault an. Innerhalb dieses Diskursansatzes bezieht sich der Begriff Diskurs auf die ideologische Seite des Sprachgebrauchs. D.h. die Sprache gilt als Materialisierung und Katalysator von Ideologie.

Im Unterschied zu sprachwissenschaftliche und marxistisch-ideologiekritischer Diskursforschung ist die kulturalistische Verwendungsweise des Diskursbegriffes innerhalb der soziologischen Theorietradition angesiedelt. In der kulturalistischen Diskursforschung geht es vorrangig um die Analyse gesellschaftlicher Bedeutungen von symbolischer Ordnung. Dieser Ansatz geht davon aus, dass „soziale Akteure in kollektiven Interpretationsprozessen interaktiv Wirklichkeitsdefinitionen und symbolische Ordnungen aushandeln.“[5] Daraus ergibt sich die Perzeption demnach die symbolische Ordnung als gesellschaftlich stabilisierender Wissens- und Deutungsvorrat der Handelnden (gesellschaftliche Akteure) und deren Zeichengebrauch auf ontologische Art und Weise immer schon vorgeordnet ist.

Innerhalb dieses wenig beachteten Diskursansatzes sind einige grundlegende Autoren federführend für die inhaltliche Ausgestaltung und Zuwendung zu spezifischen Teilaspekten kulturalistischer Analysen verantwortlich.

Als zentraler Platzhalter ist zuerst einmal Pierre Bourdieu zu nennen. „Sein besonderes Interesse gilt in diesem Zusammenhang der Analyse der Bedeutung von Sprache und Wissen in der Auseinandersetzung über die Legitimität symbolischer Ordnungen, etwa am Beispiel der Durchsetzung spezifischer Klassifikationen in den Machtkämpfen sozialer Gruppen.“[6] In seiner „Theorie der Praxis“ entwickelt Bourdieu einige soziologische Grundbegriffe die auch für eine kulturalistisch-sozialwissenschaftliche Diskursforschung von Bedeutung wurden. Neben der Konzeption des menschlichen Sprechens zählen die Begriffe des Habitus, der Kapitalsorten, des sozialen Raumes, der Lebensstile und der sozialen Felder zu verwendbaren Elementen der kulturalistischen Diskursforschung. Die prominenteste Stellung innerhalb dieser Elemente nimmt die Begrifflichkeit Habitus ein. Habitus eignet sich ganz hervorragend um das ontologisch vorgelagerte Sein zu beschreiben. Bourdieu bezeichnet Habitus als „ein inkorporiertes System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, das Individuen im Sozialisationsprozess aufbauen.“[7] Insofern begründet sich der Habitus ontologisch selbst, ist zugleich in den anderen Begriffen eingebettet und strukturiert die Handlungs- und Sprachpraxis der Individuen und damit die (Re-) Produktion symbolischer Ordnungen.

Als weiteren Vertreter der kulturalistisch interpretativen Diskursforschung ist William A. Gamson zu nennen, der sich mit Rahmenanalysen von öffentlichen Diskursen beschäftigte. Bekannt wurde Gamson durch seine, in den 80er Jahren gemachten, Vorschläge zur Analyse öffentlicher Diskussionsprozesse als Diskurs. Dieser Ansatz rückt Gamson scheinbar in die Nähe der theoretischen Überlegungen von Habermas, jedoch ist sein inhaltlicher Ansatz ein anderer. Spezifisch für den Vorschlag von Gamson ist die „Verknüpfung von qualitativen Textanalysen mit der quantifizierenden Auswertung großer Datenkorpora, die aus Artikeln der Printmedien bestehen.“[8] Diese so genannte frame analysis wurde im Kontext der symbolisch-ideologischen Forschungsansätze über Mobilitätsprozesse sozialer Bewegungen entwickelt. Wobei die Diskussionsknotenpunkte in den Printmedien Ausdruck dieser sozialen Bewegungen sind und daher – so Gamson – diskursanalytisch untersuchenswert, um Aussagen über gesellschaftliche Konflikt- und Brennpunkte treffen zu können.

Joseph R. Gusfield – ein weiterer Vertreter der kulturalistisch-orientierten Zunft – beschäftigte sich mit der Kultur öffentlicher Probleme. Seine Analysen konzentrierten sich auf die Untersuchung der kollektiven, öffentlichen Definition sozialer Probleme und den abweichenden Verhalten einzelner Akteure oder gesellschaftlicher Gruppen. Durch seine ethnographischen und textinterpretierenden Methoden knüpft Gusfield in seinen Analysen eng an Berger, Luckmann und Kenneth Burke an. Zentral ist für Gusfield „dabei die wirklichkeitskonstituierende Macht der produzierten symbolischen Ordnungen ebenso wie ihre exkludierende Funktion bezüglich anderer Deutungsmöglichkeiten. Öffentliche Diskurse werden als Wirklichkeitsbereiche sui Generis betrachtet, deren gesellschaftliche Funktion in der ritualistischen Vergegenwärtigung der Möglichkeit des Bestehens symbolischer und damit sozialer Ordnung liegt.“[9]

Abschließend ist noch Robert Wuthnow zu erwähnen, der den Diskursbegriff dazu benutzt den Zusammenhang zwischen Idee bzw. Ideologie und sozialen Wandel herauszuarbeiten. Auf den Punkt gebracht, widmet sich Wuthnow der Analyse von Diskursgemeinschaften. „Er entwickelt dabei ein begriffliches Raster, mit dem analysiert werden kann, wie soziale Gruppen zu Trägern bestimmter Ideen werden, wie sie diese artikulieren und verbreiten, welche Ideen dabei erfolgreich, d. h. gesellschaftlich resonanzfähig sind, wie diese instrumentalisiert werden und welche gesellschaftlichen Folgen das hat.“[10]

Obwohl die kulturalistische Diskursforschung nach wie vor ein Mauerblümchen Dasein fristet, ist sie gerade für sozialwissenschaftliche Diskursanalysen von immanentem Interesse; gerade weil sie die Bedeutung von öffentlichen Definitionskonflikten und das Handeln von gesellschaftlichen Akteuren innerhalb deren Machtinteressen in den Vordergrund rückt.

Keller behandelt in seinem vorliegenden Buch neben den eben beschriebenen Diskurszugängen auch noch den diskustheoretischen Zugang von Foucault, die postmarxistischen Diskurstheorien von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe sowie den von Keller selbst mitgeprägten Diskurszugang der wissenssoziologischen Diskursanalyse. Darauf wurde jedoch an dieser Stelle nicht mehr eingegangen, weil beide Diskursansätze schon in vorangegangenen Artikeln auf unserer Homepage ausgiebig zusammengefasst wurden.

Der Artikel über die Diskurstheorie von Foucault sowie der postmarxistischen Diskurszugänge von Laclau und Mouffe findet sich: hier.

Ein Zusammenfassung der wissensoziologischen Diskursanalyse erreicht man über folgenden Link: hier.

Nachdem wir uns einen groben Überblick über die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Diskurszugänge gemacht hatten, stellten wir Überlegungen an, welches Erkenntnisinteresse wir aus unserem diskurstheoretischen Zugang zum Begriff „Europäischen Raum“ gewinnen wollen. Zentral war uns hierbei die Ausformulierung von Fragestellungen, die im Zuge unserer Diskursanalyse zu beantworten im Vordergrund stehen sollten. Vorrangiges Ziel dieser Übung war es zum Ersten unserem diskursanalytischen Zugang Konturen und inhaltliche Tiefe zu verleihen und zum Zweiten darauf aufbauend ein klares wissenschaftliches Basisinteresse zu entwickeln, um daran anschließend die für uns passenden theoretischen Zugänge aus dem vielfältigem Angebot an unterschiedlichen Diskurstheorien auswählen zu können.

In einem ersten Schritt konnten wir vier für uns relevante Fragenkomplexe identifizieren:

 

 

  1. Akteure: gerade für die Anschlussfähigkeit unserer Diskursergebnisse an unsere weiterführenden Fragestellungen im Umfeld der Internationalen Beziehungen rücken die Protagonisten des europäischen Raumdiskurses ins immanente Erkenntnisinteresses unserer Analyse:
    1. Wie, wo und mit welchen Praktiken, Ressourcen und Dynamiken wird ein Diskurs (re-)produziert?
    2. Was sind seine Formationsregeln, Strukturierungsprozesse und -modalitäten?
    3. Welche Akteure besetzen mit welchen Ressourcen, Interessen, Strategien die Sprecherposition? (mit Sprecherposition meinen wir die Deutungshoheit)
    4. Welche Aneignungsweisen lassen sich nachzeichnen? D.h. Durch welche Mittel verschafft sich ein Akteur die Deutungshoheit?
    5. Wer profitiert von der ontologischen Reduktionsleistung des Begriffs „Europäischer Raum“?

 

  1. Einbettung: dieser Fragenkomplex bezieht sich auf unser Interesse in welcher Art und Weise der Wechselwirkung, der Diskurs mit seiner sozio-historischen, kulturellen, politischen usw. Umwelt steht.
    1. Wann und warum taucht ein spezifischer Diskurs auf, verändert sich oder verschwindet wieder?
    2. Was sind die entscheidenden Ereignisse im Verlauf eines Diskurses und wie bzw. warum verändert er sich mit der Zeit?
    3. Wie lässt sich ein Diskurs auf raum-zeitlich mehr oder weniger weit ausgreifende soziale Kontexte beziehen?
    4. Welche (Macht-)Effekte gehen von dem Diskurs aus, und wie verhalten sich diese zu gesellschaftlichen Praxisfeldern und „Alltagsrepräsentationen“?

 

  1. Anschlussfragen: vordergründig interessieren uns hier die Adressaten und das zu erreichende Publikum des Raumdiskurses. Diese Facette ist für uns insofern von zentraler Relevanz als wir den Verdacht nicht los werden, dass der „Europäische Raumdiskurs“ bzw. der „Raumdiskurs“ an sich, eine zentrale Voraussetzung für die Ausgestaltung von „Identität“ und deren Instrumentalisierung ist. Darüber hinaus hoffen wir dadurch unseren diskursanalytischen Untersuchungsbereich eingrenzen zu können:
    1. Welche Phänomenbereiche werden dadurch wie konstitutiert?
    2. Wer ist Träger, Adressat, Publikum des Diskurses?
    3. Welche Bezüge enthält der Diskurs zu anderen Diskursen?
    4. Welche Phänomene werden durch die Diskursanalyse erklärt?

 

  1. Materielle Ausformungen: diesen Fragenbereich finden wir insofern spannend als es für uns interessant ist, durch welche In-der-Welt befindlichen „Dinge“ sich unser Raumdiskurs materiell nachweisen und verdeutlichen lässt:
    1. Welche sprachlichen und symbolischen Mittel und Strategien werden eingesetzt? (Wobei wir uns bei dieser Frage vorrangig für die mythologische Instrumentalisierung von symbolhafter Identifizierung von „Dingen“ interessieren und nur marginal für die linguistische Ausprägung)
    2. Wie schlägt sich ein Diskurs in Dispositiven nieder?
    3. Welche Erklärungen gibt es für die Merkmale eines Diskurse?

 


[1] Keller, Reiner; S. 7

[2] Keller, Reiner; S. 8

[3] Siehe: Foucault, Michel; Die Ordnung der Dinge, 1974

[4] Keller, Reiner; S. 21

[5] Keller, Reiner; S. 34

[6] Keller, Reiner; S. 34

[7] Keller, Reiner; S. 35

[8] Keller, Reiner; S. 37

[9] Keller, Reiner; S. 40

[10] Keller, Reiner; S. 41

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