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Descartes, René (1644); „Über die Prinzipien der materiellen Dinge“

Im ideengeschichtlichen Diskurs zum Begriff Raum nimmt der vorliegende Text zum einen eine ausgesprochen prominente Stellung ein und zum anderen ist die Abhandlung von Descartes als ein wichtiges Zwischenstück zwischen dem alten antiken, scholastisch-mittelalterlichen „Topos" Denken und dem damalig neuen newton´schen Raumbegriff einzuordnen. Descartes Denken steht für eine Überwindung der einheitlich gedachten Begrifflichkeit des Raumes, wobei der Doppelung der Welt in eine materielle Welt des Seins und einer gedachten Welt des Kognitiven eine zentrale Rolle zukommt. Im folgenden versuche ich aus der Sicht von Descartes die zentralen Aussagen seiner Abhandlung aus dem Jahre 1644 zusammenzufassen.

Wenn alle Vorurteile aufgrund sinnlicher Erfahrungen abgelegt und man (der Mensch) sich ausschließlich seines Verstandes bedient offenbart sich (und erst dann) die Natur und das Wesen eines Körpers. Ein Körper ist nicht definiert und erfahrbar durch beispielsweise Härte, Farbe oder Gewicht usw. der zu betrachtenden Materie, sondern ausschließlich durch dessen Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe.

Jedoch war es zu der damaligen Zeit für Descartes noch notwendig zwei weitere Ursachen auszuräumen, weswegen damals noch angezweifelt werden konnte, dass die wahre Natur eines Körpers alleinig durch die Ausdehnung bestimmt wird.

  1. Verdünnung: nach damaliger Meinung glaubte man, dass verdünnte Körper eine größere Ausdehnung besitzen als verdichtete. Die herrschende Annahme differenzierte die Substanz des Körpers von der Quantität und diese wiederum von der Ausdehnung.
  2. Vakuum: dem Begriff Vakuum liegt die Annahme zugrunde, dass dort wo nur Länge, Breite und Tiefe einzusehen ist noch nicht a priori von einem Körper gesprochen werden kann, sondern stattdessen wird dort der „Raum“ schlechthin vermutet. Nämlich der leere Raum, der als das pure Nichts gesehen wird.

 

Descartes räumt aber als Erwiderung auf die beiden obigen Aspekte ein, dass bei einer reinen, vorurteilsfreien Betrachtung eines Verdünnungsvorganges nur die Gestalt eines Körpers zu beobachten ist. Jedoch besitzt der Körper dann immer noch – unabhängig seiner Betrachtungsmöglichkeit – Ausdehnung. Und bei einer derartigen Sichtweise ist es schlussendlich egal ob die Verdünnung mit mehr oder weniger Zwischenräumen vonstatten geht. Vor allem weil die zwischenräumige Ausgedehntheit einer Materie nicht dem eigentlichen zu betrachtenden Körper zugerechnet werden kann. „Denn wir meinen ja auch nicht, wenn wir einen mit Wasser […] getränkten und angeschwollenen Schwamm betrachten, er besitze in seinen einzelnen Teilen eine größere Ausdehnung, als wenn er zusammengepresst [sic] und ausgetrocknet ist, sondern lediglich, daß [sic] seine Poren eine größere Ausdehnung haben, und er sich daher über einen größeren Raum verteilt“[1]. Somit ist die Ausdehnung eines Körpers nicht mit dem Raum den er einnimmt gleichzusetzen.

Für Descartes ist es offensichtlich nicht einsichtig, warum in seiner Epoche behauptet wurde, dass es durch die Verdünnung eines Körpers gleichzeitig zu einer Vergrößerung bzw. Zunahme der Quantität kommen sollte. Das einfache Schwammbeispiel dient ihm als eindringliche Widerlegung dieser Annahme.

Eine Zunahme der Substanz eines Körpers, also dessen Quantität, kann nur durch die Hinzufügung eines neuen Körpers erreicht werden. Jedoch reicht die reine Annahme dieser Überlegung nicht aus, um letzte Zweifler zu überzeugen. Dem folgend ist dieser Analogieschluss ungültig, vor allem wenn er nur dadurch begründet ist, dass er nicht sinnlich erfahrbar ist. Nach Descartes ist die Hinzufügung etwas Neuems die einzige logische und dem Verstand zugängliche Möglichkeit eine Verdünnung bei gleichzeitiger zunehmender Quantität zu erklären.

Gleich wie bei der Kritik an der Sichtweise demnach die Verdünnung die Quantität erhöht, gilt die descart´sche Beobachtung naturgemäß auch für die Verringerung von Quantität. „Würde der Substanz auch nur das Geringste entzogen, würde ebensoviel von der Quantität oder Ausdehnung weggenommen“[2].

Descartes kritisiert weiter, dass man durch die Sichtweise demnach eine körperliche Substanz von Quantität unterschieden wird, nicht mehr von einem kohärenten Körper sprechen kann. „Wenn sie [die zeitgenössischen Kritiker von Descartes. Anm. d. Verf.] die Substanz von der Ausdehnung und Quantität unterscheiden, so verstehen sie entweder unter der Bezeichnung der Substanz nichts, oder sie besitzen nur eine verworrene Idee der unkörperlichen Substanz, die sie der körperlichen Substanz fälschlich zusprechen, und überlassen es der Ausdehnung, die wahre Idee einer körperlichen Substanz zu vertreten“[3].

Somit spricht Descartes harsche Kritik aus. In ausgesprochen offensiver Art und Weise wirft er seinen Zeitgenossen vor keine Ahnung von der Materie zu haben.

Der Raum und innere Ort eines Körpers, sowie die darin enthaltene Substanz können nicht am Körper selbst unterschieden werden. Der Körper bleibt somit immer das Ding an sich. Allenfalls erst die außenstehenden Beobachter können solche Unterscheidungen (fälschlicherweise) treffen.

An dieser Stelle seines Textes spricht Descartes das Problem der begrifflichen Trennung zwischen Raum und Körper an. Wurden dem Körper einerseits damals Veränderungsmöglichkeiten zugesprochen, so wurde der Raum andererseits immer als konstante und unveränderliche Größe gesehen.

Descartes geht aber genau an diesem Punkt neue Wege. Er spricht der Natur des Körpers und der Natur des Raumes dieselbe Ausdehnung zu. Er begründet diese Annahme dadurch, dass nach Wegnahme aller Vorstellungen und Vorurteilen, die wir von einem Körper haben können – Farbe, Härte, Wärme usw. – die reine Idee eines Körpers – Länge, Breite, Tiefe also dessen Ausdehnung – bestehen bleibt. Und genau diese Idee gilt nicht nur für einen Körper, sondern genauso für den Raum, der Vakuum genannt wird.

Die Annahme eines fixen Raumes der da ist und fundamental besteht, auch wenn ein Körper wegbewegt wird, ist für Descartes eine reine Ausgeburt unseres menschlichen Geistes. Er widerlegt diese Annahme durch sein berühmtes Beispiel eines Schiffes auf offener See. „Wenn sich ein Schiff auf dem Meer vorwärtsbewegt, so verharrt jemand, der auf dem Hinterdeck sitzt, immer an demselben Ort, sofern man auf die Teile des Schiffes abhebt, zwischen denen er dieselbe Lage beibehält. Aber er wechselt seinen Ort fortwährend, sofern man auf die beiden Uferstreifen abhebt, weil er sich ja fortwährend von dem einen Ufer entfernt und auf das andere zubewegt [sic]. Und wenn wir zudem annehmen, daß [sic] sich die Erde bewegt, und dabei genau so viel von Westen nach Osten vorschreitet, wie das Schiff inzwischen von Ost nach West vorankommt, so behaupten wir wiederum, daß [sic] jemand, der auf dem Hinterdeck sitzt, seinen Ort nicht verändert, weil wir nämlich die Bestimmung des Ortes von bestimmten unbewegten Punkten des Himmels ableiten. Wenn wir zudem schließlich bedenken, daß [sic] keine derartigen tatsächlich unbewegten Punkte im Universum angetroffen werden, […] so werden wir daraus folgern, daß [sic] kein Ort irgendeines Dinges dauerhaft ist, außer insofern er durch unser Denken als dauerhaft bestimmt wird“[4]

Gerade hier wird Descartes bahnbrechender Denkansatz und seine Betrachtungen von Körper, Raum, Ort und Bezugssystem besonders deutlich.

Descartes unterscheidet darüber hinaus zwischen Ort und Raum. Der Ort bezeichnet die Lage eines Körpers in Bezug auf die Lage zwischen anderen Gegenständen. Wohingegen mit Raum die Größe und Gestalt eines Körpers gemeint ist. Demgemäss ist mit Raum immer und „ohne Ausnahme“[5] die Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe gemeint. Als Ort hingegen gilt zum einen der innere Ort den der Körper an sich einnimmt und mit dem Raum eines Körpers gleichzusetzen ist, während andererseits der äußere Ort als Situiertheit in Bezug auf die körperliche Orientierung zu den umgebenden Bezugskörper angesehen werden kann.

Diese Sichtweise wird insofern relevant als unter der Oberfläche eines Körpers „im allgemeinen das Verstanden wird, das nicht mehr einen Teil des einen als den des anderen Körpers bildet, sondern das immer als gleichbleibend gedacht wird, insofern es dieselbe Größe und Gestalt beibehält“[6]. Diese örtliche Unveränderlichkeit ist aber nur dann möglich, wenn man die Lage eines Körpers in Bezug zu Dingen setzt, die als unbeweglich angesehen werden.

Aus dem vorangegangenen Diskurs schließt Descartes schließlich auf das Vakuum. Demnach kann es keinen leeren „Nichts“ Raum geben. Alles was Raum und im descart´schen Sinne Ausdehnung besitzt, hat notwendigerweise auch Substanz. In Bezug auf die sinnliche Erfahrbarkeit kritisiert Descartes die Annahme, ein Vakuum sei der Inbegriff von Nichts. Stattdessen wirft er der menschlichen Eigenschaft – von alltäglicher Praxis auf Philosophisches zu schließen – vor in diesem Denkmuster verhaftet zu sein. So wird zum Beispiel ein Krug – der als Wassergefäß gedacht und hervorgebracht wurde – als leer bezeichnet, wenn kein Wasser darin enthalten ist, obwohl ja nach wie vor eine Substanz, nämlich Luft, Raum nimmt. Diese Analogie gilt für Descartes nun auch für das Vakuum. Nur weil nichts sinnlich erfahrbares darin enthalten ist, kann man noch lange nicht darauf schließen, dort wäre ein leerer Raum: also das Nichts schlechthin.

„Wenn daher gefragt wird, was denn geschehen würde, wenn Gott den gesamten Körper, der in irgendeinem Gefäß enthalten ist, wegnähme und nicht zuließe, daß [sic] ein anderer an den Ort des weggenommenen trete, so ist darauf zu antworten, daß [sic] die Seiten des Gefäßes sich wechselseitig berühren würden. Wenn nämlich zwischen zwei Körpern nichts dazwischenliegt, so ist es unausweichlich, daß [sic] sie sich gegenseitig berühren und es ist offensichtlich widersprüchlich, daß [sic] sie voneinander entfernt sind, d.h. zwischen ihnen ein Abstand sein solle, und gleichwohl dieser Abstand nichts sein solle, weil alle Distanz ein Zustand der Ausdehnung ist und von daher ohne ausgedehnte Substanz gar nicht sein kann“[7].

Aus dieser gedanklichen Betrachtung schließt Descartes auf seine eingangs erörterte Verdünnung und argumentiert, dass dadurch seine Annahme begründet und nachvollziehbar gemacht wurde: „Denn die Quantität der Teile der Materie hängt nicht von deren Gewicht oder Härte, sondern allein von der Ausdehnung ab, die in demselben Gefäß immer gleich ist“[8].


[1] Descartes, René (1644): Über die Prinzipien der materiellen Dinge. In: Dünne, Jörg / Günzel, Stephan (Hg.) (2006): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp: Frankfurt/Main, S. 45 f.

[2] Descartes a.a.O. S. 47.

[3] Descartes a.a.O. S. 47 f.

[4] Descartes a.a.O. S. 50

[5] Descartes a.a.O. S. 51

[6] Descartes a.a.O. S. 51

[7] Descartes a.a.O. S. 53

[8] Descartes a.a.O. S. 54

1 Gedanke zu „Descartes, René (1644); „Über die Prinzipien der materiellen Dinge““

  1. David Harvey beginnt den vorliegenden Textteil mit dem Hinweis, dass er an das Konzept der „Verdichtung“ von Raum und Zeit anknüpft. Die Begrifflichkeit Verdichtung bezeichnet jene prozessuale geschichtliche Schnittpunkte, welche die &bdq

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